Protokoll #2625

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Alte Erwartungen treffen auf neue Imperative. Es ist an der Zeit, innezuhalten und zu fragen: Wofür gibt es Führung eigentlich? Was genau ist ihre Aufgabe?\n\n### Führung tritt auf den Plan, wenn Strukturen versagen\n\nAus der Systemtheorie: Führung braucht es nur dort, wo etwas nicht von allein läuft. In stabilen Strukturen braucht es gutes Management. Erst wenn Routinen versagen, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, entsteht Führung. Sie tritt auf den Plan in Erwartungsunsicherheit, wenn ein Vakuum entsteht und niemand weiß, wie zu entscheiden ist. Dann braucht es jemanden, der sich exponiert und Verantwortung übernimmt.\n\nNiklas Luhmann nannte Führungskräfte die „Lückenbüßer der Organisation\". Ihre Arbeit beginnt dort, wo Prozesse enden. Man könnte sagen: Führung ist keine Funktion, sondern ein Ereignis.\n\n### Führung ist Schleifenarbeit\n\nGute Führung erkennt man an der Qualität der Denk- und Entscheidungsprozesse. Ein wirksames Modell systemischer Führung ist die Führungsschleife:\n\n**1. Identifizieren** – Wo liegt das Problem? Was ist der Unterschied zwischen Ist- und Soll-Zustand?\n\n**2. Entscheiden** – Was ist die passende Maßnahme? Welche Optionen gibt es?\n\n**3. Umsetzen** – Wie bringe ich es in die Organisation? Welche Hindernisse sind zu erwarten?\n\nWas simpel klingt, ist in der Praxis selten gelebt. Häufig wird entschieden, ohne sauber zu identifizieren. Oder umgesetzt, ohne bewusst zu wählen. Gute Führung erkennt man daran, dass alle drei Schleifen bewusst vollzogen werden.\n\n### Vier Perspektiven auf Führungshandeln\n\nFührung ist nie eindimensional. Sie ist ein Zusammenspiel unterschiedlicher Aufgaben und Haltungen. Ein hilfreiches Modell unterscheidet vier Dimensionen:\n\n**BUILD – Kluge Strukturen bauen**\n\nFührung bedeutet: Verhältnisse schaffen. Rahmenbedingungen gestalten. Die Wahrscheinlichkeit für erwünschtes Verhalten erhöhen. Wer hier stark ist, denkt konzeptionell und systemisch.\n\n**DIRECT – Für Richtung sorgen**\n\nEs geht um Zukunft, Ausrichtung, strategische Klarheit. Führungskräfte stellen sich Fragen wie: Wo wollen wir hin? Was brauchen wir heute, um morgen relevant zu sein?\n\n**LEAD – Menschen gewinnen**\n\nFühren heißt: Beziehungsarbeit. Menschen ins Boot holen. Diese Dimension lebt von Präsenz, Dialog und Vertrauen. Die zentrale Frage: Wie können wir andere inspirieren, Verantwortung zu übernehmen?\n\n**MANAGE – Dinge geregelt bekommen**\n\nOperative Exzellenz. Das Rückgrat des Tagesgeschäfts. Wie halten wir Teams arbeitsfähig? Welche Hindernisse müssen wir beseitigen? Keine Führungskraft ist in allen vier Feldern gleich stark. Wichtig ist, bewusst zu navigieren und auch zu delegieren.\n\n### Der große Hebel: Strukturen statt Verhalten\n\nEin wirkmächtiger Denkfehler: Man versucht, Menschen zu verändern, statt die Bedingungen, unter denen sie handeln. Viele Organisationen starten Change-Initiativen mit der Idee, „Mitarbeitende abzuholen\" oder zu motivieren. Wichtig, aber nicht entscheidend.\n\nDas Problem sind nicht die Menschen. Sondern die Verhältnisse. Unternehmen, die diesen Perspektivwechsel vollziehen, stellen ihre Strukturen auf den Prüfstand: Welche Regeln, Prozesse oder Vergütungssysteme demotivieren? Das Ergebnis: Ausmisten. Verschlankung komplizierter Prozesse. Abschaffung von Systemen, die interne Konflikte schüren. Manchmal gar keine riesige Transformation, sondern wirksame Strukturarbeit.\n\nWer sich Gedanken über Motivation machen will, überlegt, wie Strukturen so gestaltet werden, dass sie nicht demotivieren. Systemisch denken heißt: zuerst auf das System schauen, dann auf das Verhalten.\n\n### Führung im Wandel: Nicht alles geht weg\n\nIn Zeiten des Wandels brauchen Organisationen Klarheit, nicht neue Hypes. Nicht weniger Hierarchie, sondern eine, die sich situativ begründet. Oft erleben wir Schwarz-Weiß-Denken: „Hierarchie oder Agilität\", „Homeoffice oder Präsenz\", „stark oder empathisch\".\n\nSystemisches Denken ist ambiguitätstolerant. Es kennt kein „entweder-oder\", sondern fragt: Was passt zu unserem Kontext? Was braucht es jetzt? Manchmal ist es sinnvoll, Entscheidungsbefugnis ins Team zu geben. Manchmal ist top-down Klarheit besser. Manchmal ist Homeoffice effizient. Manchmal blockiert es Zusammenarbeit. Entscheidend ist nicht das Prinzip, sondern der leistungsorientierte Dialog.\n\n### Haltung zeigen: Führung ist Exposition\n\nFührung ist nicht immer angenehm. Sie ist keine Komfortzone für Wohlfühlmethoden. Wer führt, muss sich exponieren. Entscheidungen treffen, wo andere zögern. Aushalten, dass es nicht immer Konsens gibt. Gleichzeitig: Wer Führung verweigert, zwingt andere, in Führung zu gehen.\n\nFührung bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn man noch nicht alles weiß. Es bedeutet, andere einzuladen mitzugestalten, sich aber nicht zu verstecken. Es bedeutet, Zumutungen zu machen. Klar zu sein. Sich erklären zu können, ohne ständig alles zu rechtfertigen.\n\nIn einem Satz: „Führung ist keine Dienstleistung. Sie ist das Sicherstellen, dass das Unternehmen am Markt überlebt unter Einbeziehung von Beziehungsgestaltung in Unsicherheit.\"\n\n### Fazit\n\nFührung wird auch in Zukunft keine einfache Aufgabe sein. Aber vielleicht wird sie wieder klarer, wenn wir aufhören, sie mit Anforderungen zu überfrachten und stattdessen auf ihren Kern schauen: Verantwortung übernehmen in Momenten, in denen Organisationen Orientierung brauchen.\n\nDas ist keine Methode und auch keine Mode. Sondern Arbeit. Manchmal harte Arbeit. Und es ist nicht immer sichtbar, aber immer wirksam.",
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